Demokratieerfahrung durch Begegnung und Beteiligung

von Michél Murawa,
Berater für Partizipation im Modellprojekt „Der Teilhabe-Rabe und die Schatzkiste frühkindlicher Demokratieerfahrung“

Wie können Kinder in der Kita eine positive Erfahrung mit Demokratie machen? Wozu sollten sie das überhaupt? Dazu müssen wir uns erst einmal darüber bewusst werden, dass Demokratie mehr ist als eine freiheitliche Regierungsform auf der Basis von Mehrheitsentscheidungen. Mit ihr sind auf dieser Ebene individuelle Freiheit und die Bindung staatlichen Handels an das Recht (u.a. Völkerrecht, Menschenrechte, Grundgesetz) auf das Engste verbunden.

Wenn wir diese „übergeordnete Demokratie“ nun in die Ebene des Alltagslebens in der Kita übersetzen, dann können wir sie vor allem in der Begegnung zwischen gleichwürdigen kleinen und großen Menschen finden und in einer freiwilligen Beteiligung an Entscheidungen, die alle in der Einrichtung betreffen.     

Wie wir uns im Beteiligungsprozess begegnen

Gestaltungsaufgabe

Aus der Gemeinschaft heraus oder in die Gemeinschaft hinein stellt sich eine Gestaltungsaufgabe, die einer Lösung bedarf.

Meinungsbildung


Meinungen werden gleichrangig geäußert und können sich durch die Begegnungen mit Anderen entwickeln.

Kontaktaufnahme

Alle, die vor der Gestaltungsaufgabe stehen und von deren Lösung betroffen sind, können sich in der Begegnung als Individuen zeigen und werden gesehen.

Verständigung

Eine Beziehung, in der wir einander verstehen wollen und bestmöglich verstanden werden, umgibt den Gestaltungsprozess.

Aushandlung


Aus den Meinungen werden Lösungsvorschläge, die miteinander verglichen und dabei weiterentwickelt werden.

Entscheidung

An der Entscheidung für eine Lösung der ursprünglichen Gestaltungsaufgabe sind alle mit einer gleichgewichteten Stimme beteiligt. Die gefundene Lösung muss sich im Alltag bewähren.

Eigene Darstellung mit eigenen Grafiken nach: Koordinierungsstelle Demokratie und Vielfalt in der Kindertagesbetreuung 2022, S. 6

Am Beispiel einer Kinder-Umfrage

Stellen wir uns eine Abholsituation vor. Ein Familienangehöriger bekommt von der pädagogischen Fachkraft einen Bogen mit einer Familien-Umfrage überreicht. Auch betont die Fachkraft, wie wichtig die Teilnahme wäre. Das Kind verfolgt die Situation, möchte wissen, was denn eine „Umfrage“ wäre und fragt dann die Leitung auf: „Und wann werden wir Kinder umgefragt? Wir wollen doch auch, dass ihr wisst, was wir gut und was wir gar nicht gut finden!“

Die pädagogische Fachkraft kann nun damit beginnen, die Idee des Kindes wertzuschätzen. In der Kita-Konzeption sollte ein Beschwerdeverfahren, welches die Kinder einschließt, vorhanden sein. Der Hinweis darauf, dass dies dazu geeignet sein kann, um Unzufriedenheit zu äußern, ist eine Möglichkeit. Sie wird angesichts dieser konkreten Idee des Kindes nun allerdings nicht mehr ausreichen. Was kann also stattdessen folgen?

  • Die Fachkräfte erstellen zusammen mit freiwillig teilnehmenden Kindern in einer Vorbereitungsgruppe ein Konzept für die geplante Kinder-Umfrage. Dafür bereiten sie eine Übersicht vor, auf der sich beispielhafte Themen wie Ruhen, Anziehen und Essen bereits finden. Es sollte neben diesen vorgegebenen Themen sichtbar viel Raum für ein persönliches Thema der Kinder geben. Diesen Platz soll jedes befragte Kind später mit eigenen Zeichnungen oder Klebearbeiten füllen können.
  • Auf einem großen Papierbogen visualisiert die Vorbereitungsgruppe aus Fachkräften und Kindern das Vorhaben. Damit erklären sie gemeinsam den zu befragenden Kindern, dass im Laufe der kommenden Tagen eine ganz wichtige Kinder-Umfrage stattfinden wird. Alle Kinder werden herzlich eingeladen, daran teilzunehmen und so mitzuteilen, was ihnen im Kita-Alltag gefällt und was nicht.
  • Die Vorbereitungsgruppe sucht nun zusammen mit allen Kindern (also auch den zu befragenden) zwei bis drei Emojis oder andere Symbole aus, mit denen die Bewertung der einzelnen Themen der allen Kindern leicht fällt. Eine Abbildung dieser kommt schließlich auch in den finalen Fragebogen.
  • Nun sollte noch eine Einigung auf einen Start- und Endpunkt der Befragung erfolgen: An welchem Tag soll sie stattfinden und wie lange wird das dauern?
  • Ebenfalls im Vorfeld zu klären ist: Wo erhalten die Kinder ihre Fragebögen? Wer hilft den Kindern, die Unterstützung beim Ausfüllen und Verstehen des Bogens benötigen?
  • Beachtenswert: Wie (un-)zufrieden U3-Kinder und solche mit einer anderen Erstsprache als Deutsch sind, lässt sich wahrscheinlich eher durch Beobachtungen im Kita-Alltag herausfinden. Auch hier können freiwillige Kinder aus der Vorbereitungs-gruppe einbezogen werden. Gegenseitige Befragungen und Beobachtungen können auf dem Fragebogen festgehalten werden. Ein umfassenderes Bild der kindlichen Perspektive auf die Kita entsteht.
  • Aus den Ergebnissen der Kinder-Umfrage kann eine Ausstellung gestaltet werden, die allen kleinen und großen Menschen diese vor Augen führt. Besonders wichtig ist es jedoch, dass die Ergebnisse auch sicht- und spürbare Folgen haben. Nur so erleben die Kinder, dass ihre Meinung nicht nur erfragt wird, sondern diese auch tatsächliche Veränderungen anstoßen kann. Solche Anpassungen sind dann wiederum Teil eines Entscheidungsprozesses, in dem die Kinder gleichberechtigt mitwirken.

Beispielsituation und  nach: Koordinierungsstelle Demokratie und Vielfalt in der Kindertagesbetreuung 2022, S. 24-25

Aus einer von der Kita-Gemeinschaft angenommenen Gestaltungsaufgabe geht schließlich eine gemeinsam getroffene Entscheidung hervor, deren Bewährung im Alltag noch aussteht. Alle kleinen wie großen Menschen sind sich dabei auf Augenhöhe begegnet und haben erfahren, was gelebte Beteiligung bewirken kann. Mit dieser konkreten Demokratieerfahrung im Gepäck fällt es anschließend leichter, sich wieder einzubringen.

Weitere Informationen und Literatur

  • Koordinierungsstelle Demokratie und Vielfalt in der Kindertagesbetreuung (Hrsg.) (2022): Spielerisch beteiligen! Interaktionsmethoden für einen partizipativen und inklusiven KiTa-Alltag. Online verfügbar unter: https://www.duvk.de/media/filer_public/a0/e8/a0e8cb73-ca41-4244-b0f9-7ca5c83d9b67/handreichung_spielerisch_beteiligen_webversion.pdf, letzter Zugriff am 25.07.2024
  • Bertelsmann Stiftung (Hrsg.) (2022): Handreichung zum Plakat: Achtung Kinderperspektiven! Mit Kindern KiTa-Qualität entwickeln. Online verfügbar unter: https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/PicturePark/2022-11/Handreichung_Kinderperspektiven_2022.pdf, letzter Zugriff am 25.07.2024

Das Zusammen wirkt.

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