Rollenspiele sprachlich begleiten
Unterstützendes pädagogisches Material von Michél Murawa,
Berater für Partizipation im Modellprojekt „Der Teilhabe-Rabe und die Schatzkiste frühkindlicher Demokratieerfahrung“
Rollenspielen kommt in der kindlichen Sprachentwicklung eine wichtige Bedeutung zu. Hildebrandt, Güvenç und Pautasso betonen „einen nicht zu unterschätzenden Bildungswert“ (2016, S. 188). In diesen rollenbasierten sozialen Spielszenen vereinen die Kinder Fantasie und Sprache. Darin wird Erlebtes verarbeitbar und (neue) Rollen können erprobt werden. Dort lassen sich „Handlungen, die sie erst noch erlernen, aus[…]probieren und sich dadurch weiter[…]entwickeln“ (Watzlawik o.J., S. 1). Ein gelingendes Rollenspiel kann sich dabei auf zunehmende kommunikative Fähigkeiten einerseits, aber auch auf emotionale Kompetenzen wie Empathie und Selbstregulation der Kinder stützen.
Mit Blick auf die Sprachentwicklung
Watzlawik verweist auf Untersuchungen, die für „Kinder in Rollenspielbereichen ein höheres Sprachniveau als in anderen Spielbereichen“ (o.J., S. 1) ausweist. Mit steigender Komplexität der Rollenspielsituation würden sich auch die Äußerungen der Kinder und ihre Satzmuster verlängern. Das Sprechen über die eigene Rolle im Rollenspiel ist eine fortgeschrittene Fähigkeit. Ein Beispiel für eine solche Kommunikation auf der Meta-Ebene: „Ich wäre eine strenge Mutter[…] und möchte nicht gestört werden. Würdest du mich doch stören, würde ich schimpfen und wäre wütend mit dir“ (ebd.) Kinder mit Sprachentwicklungsverzögerung oder -störungen sehen sich in all diesen Rollenspielaspekten mit großen Herausforderungen konfrontiert.
Entwicklung des Rollenspiels in 3 Etappen (nach Watzlawik o.J.)
Innere Drehbücher – Beispiel: Szenen einer Entführung
Kinder greifen im Rollenspiel auf sogenannte Skripte bzw. „innere Drehbücher“ (Watzlawik o.J., S. 1) zurück oder eignen sie sich im Lauf des Spiels fortwährend an. Darunter werden Handlungsabläufe verstanden, welche den Kindern während des Rollenspiels als Anleitung dienen. Skripte schaffen in regelmäßig auftretenden Situationen Sicherheit und können Kindern auch abseits des Rollenspiels Orientierung bieten.
Drei Kinder (alle 5 Jahre alt) spielen ein Rollenspiel, in welchem sie Schwester und Brüder sind. Der Ausschnitt wurde von Andresen (2011, S. 6) einer circa 25 Minuten langen Videosequenz im Kindergarten entnommen und verschriftlicht. In meiner Wiedergabe hier wird die Doppelrolle von Steffi über Anmerkungen in eckigen Klammern betont:
Steffi [Anm. mit einer Art Regieanweisung]: Ey ich wach wohl auf und ihr seht hier wohl Tropfen und ich werde wohl entführt. Ihr schlaft so (lässt Kopf und Arme hängen) tief und fest. (entfernt sich, dreht sich um) Und denn seht ihr wohl so ne Karte. Die hab ich da wohl vergessen.
(Daniel und Marko tun so, als schliefen sie, dann schrecken beide auf)
Daniel: Huch da is ne Karte (Daniel hebt einen Schuh auf und starrt auf die Sohle, Marko lacht)
Steffi [erneut mit Regieanweisung]: Da steht wohl: Ich bin entführt worden.
Marko (springt auf und zieht Schuhe an): Schnell in die Schuhe!
Daniel (holt Spielzeugbananen, mit denen die Kinder vorher gespielt haben, unter einer Matratze hervor): Und ich ich nehm die Bananen mit mit n Koffer (packt die Bananen in den Koffer)
(Marko kichert und läuft zu Steffi)
Steffi [erneut aus einer Regierolle heraus]: Bin wohl in Gefängnis
Daniel (läuft hinterher, kriecht unter einem Tisch durch): Hua wo is sie? Wo is sie?
Marko: Da im Gefängnis (zeigt in die andere Ecke des Raumes, beide Jungen laufen dorthin)
Daniel (zu Marko): Nimm mal da den Schlüssel. Der is hierfür.
Marko (greift in die Luft, tut so, als ergreife er einen Schlüssel und als schlösse er eine imaginäre Tür auf): Uaa!
Steffi [Anm.: diesmal mit Rolle im Spiel]: Uaa!
Marko: Los los!
(Kinder krabbeln unter dem Tisch durch)
Daniel: Das war mein Geheimweg.
Bei diesem beispielhaften Rollenspiel wird das innere Drehbuch durch Steffi offensiv mitgeteilt: Eine Entführung erfolgt im Schlaf bzw. während die Geschwister schlafen, es wird eine Botschaft über die erfolgte Entführung hinterlassen und am Ende ist sie in einem Gefängnis, aus dem sie von den beiden Brüdern befreit werden muss. Woher dieser Ablauf stammt, können wir nur erahnen – denkbar wären Kriminalgeschichten, die Steffi vorgelesen wurden oder die sie im Fernsehen verfolgt hat. Steffi hat somit Etappe 2 der Entwicklung des Rollenspiels (siehe oben) erreicht: Sie kann über die Spielhandlung selbst kommunizieren und das Spielgeschehen vor Beginn mit den Beteiligten besprechen.
Andere innere Drehbücher, die stärker im Alltag verhaftet sind, könnten von einem vielleicht kürzlich erlebten Restaurantbesuch handeln. Darin stünde dann beispielsweise, dass eine Servicekraft im Restaurant die Gäste herzlich begrüßt und zuerst nach den Getränkewünschen fragt. Nachdem sie anschließend die bestellten Getränke an den Tisch bringt, notiert sie sich währenddessen eine Essensbestellung. Die in der Familie erlebte Einkaufssituation ließe sich ebenfalls von Kindern nach den von ihnen erinnerten Abläufen rekonstruieren und reinszenieren.
Wie kann eine alltagsintegrierte sprachliche Begleitung von Rollenspielen aussehen?
Untersuchungen von Autor*innen wie Wilcox-Herzog & Ward (2004) sowie König (2009) bestärken pädagogisches Personal darin, W-Fragen geschlossenen Fragen vorzuziehen. Erstere regen die sprachliche Entwicklung der Kinder an, während letztere eher hemmend darauf wirken können. Der hohe Anspruch, der auf Inklusion und damit „aktive, selbstbestimmte und geschätzte Teilhabe […] aller Beteiligten in das Rollenspiel“ (Hildebrandt, Güvenç & Pautasso 2016, S. 192) abzielt, lässt sich nur mit ausgedehnten und anschließend reflektierten Beobachtungen durch die pädagogischen Fachkräfte umsetzen. Es folgt ein von mir leicht verändertes Beispiel von Watzlawik (vgl. o.J., S. 3):
Pädagogische Fachkraft: „Na, das sieht hier aber ausgesprochen gemütlich aus bei euch! Den Tisch, den habt ihr wirklich toll gedeckt. Da möchte man sich gleich dazusetzen.
Kind 1: „Ja, ich bin die Mutter und habe Essen gemacht. Möchtest du auch mitessen?“
Kind 2: „Und ich bin der Vater. Ich war heute auf der Arbeit. Die beiden Babys sind schon in den ihren Bettchen und schlafen. Du kannst sie sehen, wenn du willst.“
Pädagogische Fachkraft: „Das möchte ich gern. Wenn eure Babys jetzt schon müde sind, dann haben sie heute sicher viel erlebt. Vielleicht wollt ihr mir erzählen, welche Spiele ihr heute mit den Babys zusammen “
Kind 1: „Im Park war ich mit den Babys. Dort haben wir gespielt.“
Pädagogische Fachkraft: „Im Park, sehr schön. Wo das Wetter heute doch auch wunderbar sonnig und warm war. Da zieht es euch in den Park, das verstehe ich.“
Kind 2: „Als die Arbeit vorbei war, konnten die Babys und ich mit der Eisenbahn spielen.“
Pädagogische Fachkraft: „Wie schön, dass du nach der Arbeit noch Eisenbahn mit den Babys spielen konntest. Mir scheint, dass die Babys heute wirklich einen Tag voller Ereignisse hatten. Was gibt es denn heute Leckeres zum Abendessen von dir?“
Kind 1: „Spaghetti Bolognese gibt es. Komm, setz dich zu uns.“
Pädagogische Fachkraft: „Das riecht ganz köstlich, lecker, mmmmh. Danke, dass ich euer Gast sein und mitessen darf.“
Rollenspielbegleitung als alltagsintegrierte Sprachförderung
„[…D]ass Sprachförderung nicht in abgesonderten Räumen stattfinden muss, sondern auch im gewohnten Umfeld des Kindes im Kindergarten stattfinden kann“ (Hildebrandt, Güvenç & Pautasso 2016, S. 192), ist sicher vielen pädagogischen Fachkräften bewusst. Wie auch Rollenspielaktivitäten in Form einer Fachkraft-Kind-Interaktion für eine alltagsintegrierte Förderung der kindlichen Sprachentwicklung nutzbar gemacht werden können, dazu sollten hier Anstöße geliefert worden sein.
Weitere Informationen und Literatur
Watzlawik, Anna (o.J.): Wie kann ich das Rollenspiel sprachlich begleiten? In: Forum Frühkindliche Bildung Baden-Württemberg. Online abrufbar unter: https://www.ffb-bw.de/fileadmin/ffb/pdf_zum_download/Nachgefragt/Wie_kann_ich_das_Rollenspiel_sprachlich_begleiten.pdf [zuletzt aufgerufen am 04.12.2024]
Hildebrandt, Elke; Güvenç, Ezgi; Pautasso, Johanna (2016): Das Rollenspiel als inkludierende Spielform. Erkundungen zur Verwendung von Sprache im Rollenspiel – In: Schmude, Corinna / Wedekind, Hartmut (Hrsg.): Lernwerkstätten an Hochschulen. Orte einer inklusiven Pädagogik. Bad Heilbrunn: Verlag Julius Klinkhardt, S. 188-200. Online abrufbar unter: https://www.pedocs.de/volltexte/2023/26385/pdf/Hildebrandt_et_al_2016_Das_Rollenspiel_als.pdf [zuletzt aufgerufen am 04.12.2024]
Andresen, Helga / DJI (2011): Erzählen und Rollenspiel von Kindern zwischen drei und sechs Jahren. Online abrufbar unter: https://www.weiterbildungsinitiative.de/fileadmin/Redaktion/Publikationen/WiFF_Expertise_10_Andresen_Internet.pdf [zuletzt aufgerufen am 04.12.2024]
König, Anke (2009): Interaktionsprozesse zwischen ErzieherInnen und Kindern. Eine Videostudie aus dem Kindergartenalltag. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Wilcox-Herzog, Amanda & Ward, Sharon L. (2004): Measuring teachers’ perceived interactions with children: A tool for assessing beliefs and intentions. In: Early Childhood Research and Practice, Heft 6, 2
Das Zusammen wirkt.