Menschenrechte – Freiheit – Partizipation:
Ein Dreiklang (auch) für die Kita
Fachtext von Michél Murawa, Berater für Partizipation im Modellprojekt „Der Teilhabe-Rabe und die Schatzkiste frühkindlicher Demokratieerfahrung“
Ein auf Menschenrechte gestütztes, demokratisch verfasstes Zusammenleben in Freiheit – in der Gesellschaft im Großen so auch in der Kita im Kleinen… Das liest sich zu schön, um wahr zu sein oder wahr werden zu können? Wie ein aktives Mitbestimmen, Mitentscheiden und Mithandeln der Kinder dazu beitragen kann und welche Rolle Fachkräfte dabei einnehmen.
Frei geboren und zu Freiheit und Verantwortung verbunden mit Schutz zu erziehen – so kann die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte aus dem Jahr 1948 mit dem Blick auf Kindheiten und (über 40 Jahre später) die abgeleitete UN-Kinderrechtskonvention gelesen werden. Was heißt das jedoch für den Alltag in der Kita?
Das Verhältnis von Partizipation zur Freiheit
Eigene Darstellung auf Basis des Textes von: Hartmann (2019), S. 96-101
Wirkmächtiges Vorbild
Ein bewusster Umgang mit der eigenen Vorbildrolle sowie mit direkten oder indirekten pädagogischen Handlungen ist entscheidend. Als erwachsene Bezugspersonen senden Fachkräfte immer auch Signale an das Kind, die dessen Selbstwahrnehmungen beeinflussen und Freiheitsoptionen in der entstehenden Persönlichkeit anlegen. Es geht beim pädagogischen Handeln stets auch darum, „das Kind auf dem Weg der Partizipation mit seinen eigenen Möglichkeiten in Kontakt zu bringen“ (Hartmann 2019, S. 101). Ausgelebte Freiheit in Form von freier Meinungsäußerung, Mit- und Selbstbestimmung sowie der Teilhabe an bedeutsamen Entscheidungen erfordert die Bereitschaft der erwachsenen Bezugspersonen, solche Gelegenheiten zum Erleben von Selbstwirksamkeit für die Kinder im Alltag aktiv zu schaffen. In so vielen Situationen wie möglich, an jedem Tag.
Unter Bedingungen eingeschränkter eigener Handlungsfreiheit (Stichworte sind hier sicher: Zeit- und Personalmangel) mag das auf Fachkräfte anfangs wie eine zusätzliche Anforderung wirken. Bewährte Abläufe und Routinen der Betreuung werden hinterfragt, wenn der Fokus fortan auf dem Ermöglichen und Begleiten von Lern- und Teilhabegelegenheiten ruht. Mittelfristig ist dies jedoch der Weg, der für Fachkräfte und Kinder gleichermaßen einen Zugewinn bedeutet: an gelebter Gemeinschaft, an Erstaunen über die gezeigten Fähigkeiten, an Zeit für das Wesentliche und mehr Freude im Beruf.
Dass wir den Kindern so zu ihrem verbrieften Recht (vom Anfang des Textes) verhelfen, sollte uns Grund genug sein, zu tun, was in unserer Macht steht.
Beispiel: Widerstand gegen „Behandlung“ vor der Bringsituation
Mit 2,7 Jahren zeigt Marten ein verändertes Verhalten, das unterschiedlich gewertet werden kann (je nach Beobachtung/Wahrnehmung):
A) Trotz und Verweigerung: kein Waschen durch Eltern möglich, alles dauert viel länger als gewöhnlich, Stress steigt auf beiden Seiten, Klammern in der Bringsituation, lauter Protest
B) „Mittun-Wollen“: nimmt zunehmenden Anteil an morgendlichen Routinen (Spielangebot während Wickelsituation ausgedehnt, möchte Schuhe allein
anziehen, selbst den Tisch decken)
Der gezeigte Widerstand gegen den Versuch fortgesetzter Behandlung (aus dem Bett „geholt“ und zum Wickeltisch „getragen“ werden, Essen „vorgesetzt“ bekommen) ist aus der Perspektive B ein Signal des Übergangs in die Zone der nächsten Entwicklung von Marten.
Beispiel: Gegenseitige Unterstützung zwischen Kindern begleiten
Im Alter von 2,9 Jahren möchte Juri ein anderes Kind trösten, das am Frühstückstisch plötzlich verzweifelt auf der Suche nach seinen Eltern ist und zu weinen begonnen hat. Die Erzieherin nutzt die Gelegenheit, Juri in der spontan gezeigten Hilfsbereitschaft (Taschentuch reichen und Trostworte „It allet guut“) zu bestärken und dabei Orientierung zu bieten:
1) Sie verbalisiert ihre Wahrnehmung der Situation.
„Sieh mal, Juri. Ich glaube, dass Anton so traurig ist, weil er Mama und Papa gerade sehr vermisst.“ Daraufhin geht Juri zu den „Familienbilderbüchern“ mit den laminierten Fotos der Familien.
2) Sie unterstützt Juri dabei, die Bilder von Antons Familie zu finden. Juri zeigt Anton die Bilder seiner Familie, deutet auf die Eltern und sagt: „Mama“ und
„Papa“. Anton beruhigt sich beim Anblick der Bilder spürbar.
3) Sie bestätigt Juri in der gezeigten Zuwendung.
„Super, Juri! Ich glaube, Anton kann nun seine Mama und seinen Papa sehen, weil du sie ihm gezeigt hast. Du hast Anton getröstet, er ist jetzt nicht mehr so
traurig. Das hast du sehr gut gemacht!“
Juri kann das eigene tröstende Handeln durch die Unterstützung der Erzieherin nun mit einer konkreten Erfahrung von Selbstwirksamkeit verbinden.
In eine entstehende innere Ordnung kann sich dieses Erleben ebenfalls einfügen: Jemand ist nicht mehr traurig, ich habe geholfen, das ist gut.
Weitere Informationen und Literatur
- Hartmann, Ute (2019): Von der Bindung zur Demokratie – Voraussetzungen für die Partizipation von Kindern unter 3 Jahren.
In: Demokratiepädagogik in Kindertageseinrichtungen, S. 95-111 - Stadt Bielefeld (2005): Was Kinder brauchen. Sieben Grundbedürfnisse. Online abrufbar unter:
http://hkumt.de/wp-content/uploads/2016/10/WasKinderbrauchen.pdf - Generalversammlung der Vereinten Nationen (1948): Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Online abrufbar unter: https://www.un.org/Depts/german/menschenrechte/aemr.pdf
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