Kinder beim Streiten begleiten –
Wie eine Lerngelegenheit daraus wird
Fachtext von Michél Murawa, Berater für Partizipation im Modellprojekt „Der Teilhabe-Rabe und die Schatzkiste frühkindlicher Demokratieerfahrung“
Konflikte treten immer dann und überall dort auf, wenn und wo Menschen mit widersprüchlichen Bedürfnissen, Interessen und Zielen aufeinandertreffen. Die Kindertageseinrichtung bietet demnach Konfliktpotenzial. Dieser Fachimpuls konzentriert sich auf die Konfliktsituationen zwischen Kindern und wie daraus Situationen des (sozialen) Lernens partizipativ gestaltet werden können.
Um als pädagogische Fachkräfte Konflikte unter Kindern angemessen begleiten zu können und sie nicht verfrüht zu bewerten oder zu beenden, müssen wir sie überhaupt bewusst wahrnehmen können: Wer ist beteiligt? Worum dreht sich der Konflikt und wie weit ist er fortgeschritten? Welche Strategien wählen die Kinder? Besteht die reale Gefahr, dass eines der Kinder Schaden nimmt?
6 Motive für Konflikte unter Kindern
Eigene Darstellung nach: Daldrop / Hohmann (2018); vgl. auch Haug-Schnabel 2011, S. 53f.
Die eigene Haltung zu Konflikt und Streit
Wie wir uns in Konfliktsituationen verhalten, wird ganz wesentlich von unseren persönlichen frühen Erfahrungen mit Streit beeinflusst. Das sollte uns darin bestärken, manchmal innezuhalten und auch auf unser eigenes Konfliktverhalten zu schauen. Geeignete Fragen dafür könnten sein:
- Wie bewerte ich Konflikte generell? Sehe ich in ihnen auch Chancen zur Weiterentwicklung?
- Wie reagiere ich üblicherweise auf Konflikte? Wann habe ich einmal anders reagiert?
- Weshalb reagiere ich in dieser Situation auf diese oder jene Weise? Was fühle ich?
- Wie sieht für mich eine gelungene Lösung für einen Konflikt aus?
Dann können wir reflektiert und gestärkt in die Auseinandersetzungen mit und zwischen den Kindern gehen, um ihnen eine angemessene Konfliktbegleitung bieten zu können – ohne ihnen den Streit „wegnehmen“ zu müssen. Auch in einem stressigen Kita-Alltag kann unser tägliches Basis-Signal an die Kinder in Bezug auf Streit lauten:
„Wenn es zu einer Auseinandersetzung kommt, finden wir gemeinsam eine Lösung!“
Verbal wie körperlich verletzende Konflikte zwischen Kindern sollten wir definitiv unterbrechen. Dabei können wir auf die sog. 3-Stufen-Regel zurückgreifen: Im ersten Schritt stoppen wir die Auseinandersetzung, im zweiten trennen wir die Kinder (z.B. können wir uns zwischen sie begeben) und erst im dritten Schritt sprechen wir sie an, um die aufwühlende Situation zu regulieren. Die eigene Ruhe zu bewahren und durch unser Auftreten Sicherheit zu vermitteln, trägt entscheidend dazu bei. Kurze Sätze helfen.
Ein Beispiel aus dem Sandkasten
Zwei Fachkräfte stehen im Garten und beobachten Ben (3 Jahre) und Aida (2,5 Jahre) beim Spielen. Ben läuft zu Aida in den Sandkasten, schaut sie an und tritt auf ihren großen Sandhaufen. Eine Fachkraft möchte direkt loslaufen (ihre Wertung könnte lauten: Aida ist jetzt ganz unglücklich, weil Ben in ihren Sandhaufen gesprungen ist!); die andere schlägt vor, noch kurz zu warten (neutrale Beobachtung, noch keine Wertung vorgenommen, kann das aushalten). Zwei beispielhafte Verläufe sind nun denkbar:
I) Vielleicht freut sich Aida sehr darüber, was sie gerade erlebt hat, weil sie noch nie auf die Idee gekommen ist, so in einen Sandhaufen reinzutreten. Sie juchzt auf und macht mit und wirft Sand herum. [Diese Situation entgeht ihnen bei vorschnellem Eingreifen.]
II) Aida findet das doch gar nicht so toll und haut mit der Schippe oder weint oder sendet uns andere Signale, die zeigen, dass sie damit nicht einverstanden ist und keinen Spaß hat. [Dies wäre der Zeitpunkt, wo die Fachkräfte dazu kommen und die Situation sprachlich begleiten können.]
Im Falle von Entwicklung II und einem Weinen von Aida könnte das wie folgt benannt werden:
„Ben, du bist gerade in den Sandhaufen getreten und schau mal: Aida weint jetzt!“
„Aida, du bist traurig, ne? Der Ben ist gerade in den Sandhaufen getreten und jetzt ist der platt.“
Die Fachkräfte würden also einerseits Trost für Aida anbieten (durch das Spiegeln ihrer Gefühle) und andererseits auch für Ben transparent zu machen, dass das, was für ihn mit ganz viel Spaß verbunden war, für Aida keinen Spaß bedeutet. Sie zeigen damit, wie unterschiedlich diese Situation von beiden Kindern erlebt wird. Wichtig: Eine Unterstellung von (böser) Absicht Bens gegenüber Aida setzt eine Perspektivenübernahme voraus, über die Ben mit 3 Jahren (mit größter entwicklungspsychologischer Wahrscheinlichkeit) noch nicht verfügt.
Situation aus dem nifbe-Podcast „Konflikte achtsam begleiten“ wiedergegeben
Am Kitaalltag tatsächlich beteiligt zu sein, kann bedeuten, für die eigenen Interessen streiten zu lernen, gemeinsame Lösungen zu entwickeln und zu akzeptieren. Wenn wir als erwachsene pädagogische Fachkräfte mit einer uns bewusst zugänglichen „Konflikt-Biografie“ das zulassen und begleiten, steckt darin eine wertvolle Lernerfahrung für die Kinder – und für uns.
Weitere Informationen und Literatur
- nifbe-Podcast „Auf die ersten Jahre kommt es an“ – Folge 19: „Konflikte unter Kindern achtsam begleiten“ (2023, Moderation: Kathrin Hohmann;
Expertin: Sabrina Dittmann). Online abrufbar unter: https://www.nifbe.de/1731-nifbe-podcast-auf-die-ersten-jahre-kommt-es-an-2 - Verlag PRO Kita (2019): Streit unter Kindern: 3 Punkte für Ihr richtiges Handeln. Online abrufbar unter:
https://www.pro-kita.com/kitaleitung/konflikte/streit-kinder/ - Daldrop, K./ Hohmann, K. (2018): Wenn zwei sich streiten … Konflikte zwischen Kindern achtsam begleiten. Online abrufbar unter:
https://www.nifbe.de/component/themensammlung?view=item&id=771:wenn-zwei-sich-streiten
Das Zusammen wirkt.