Sorgenfresserchen und weshalb sie so hungrig nach Sorgen sind 

Eine Hintergrundgeschichte von Michél Murawa,
Berater für Partizipation im Modellprojekt „Der Teilhabe-Rabe und die Schatzkiste frühkindlicher Demokratieerfahrung“

Das Sorgenfresserchen hat es sich im Dreieck der Beteiligungs-Schatzkiste zusammen mit den tierischen Fingerpuppen aus Filz gemütlich gemacht. Aber wisst ihr eigentlich, woher es ursprünglich kommt? Denn es wurde ja nicht dort im Dreieck geboren.

Das Land der Sorgenfresserchen

Es kommt aus einem wunderschönen Land, das leider sehr schwer zu erreichen ist für uns Menschen. Und selbst wenn wir durch Zufall dorthin finden würden, würden wir es vermutlich nicht einmal bemerken. Es ist das Land Ohnesorgen.

In diesem Land der Sorgenfresserchen ist alles wichtig – außer wie jemand aussieht. Ob klein oder groß, breit oder schmal, knallbunt oder nur eine der vielen Farben am Körper – Sorgenfresserchen lieben einander so wie sie eben sind. Sie wohnen dort in niedlichen Häuschen. Jedes in den Farben des Sorgenfresserchens gestrichen, das darin lebt.

Jetzt fragt ihr euch vielleicht: Wie kommen die Sorgenfresserchen denn eigentlich zu uns?

Das Land Ohnesorgen hat schon vor ewigen Zeiten eine Wächterin angestellt. Und die ist wirklich richtig gut mit dem Sandmännchen befreundet. Wie ihr vielleicht wisst, ist der Sandmännchen ja überall in der Welt unterwegs (ein bisschen wie der Weihnachtsmann, aber der reist ja nur zu Weihnachten herum). Das Sandmännchen bekommt bei seinen abendlichen Reisen einiges zu sehen und zu hören. Beim Schlummersand-Streuen begegnet dem Sandmännchen immer mal wieder ein Kind, das trotzdem nicht schlafen kann. Manche versuchen sich auch in den Schlaf zu weinen.

Kennt ihr das auch: Dass ihr einfach nicht einschlafen konntet? Weil euch so viel durch den Kopf ging zum Beispiel? Erinnert ihr euch, was das war?

Sogleich berichtet das Sandmännchen es der Wächterin. Und diese wiederum schickt eines der Sorgenfresserchen los. Das soll dann herausfinden, weshalb das Kind denn gerade so traurig ist.

Wie bekamen die Sorgenfresserchen Hunger auf Sorgen?

Ich gebe zu: es ist schon ein sehr ungewönliche Hunger, den die Sorgenfresserchen da haben. Wer hat schon Appetit auf Sorgen? Da muss ich ein bisschen ausholen mit der Geschichte, um zu erzählen, wie das kam.

Was denkt ihr denn? Habt ihr selbst eine Erklärung dafür?

Sorgenfresserchen haben in ihrem Bauch schon immer (also: seit es sie gibt) ein ganz besonderes Organ. Vom Blinddarm habt ihr sicher schon gehört – den haben wir Menschen noch aus Zeiten, in denen wir vor allem Pflanzen gegessen haben. Die Sorgenfresserchen haben dort etwas, das sie den „Entsorgedarm“ nennen. Dort hinein gelangen die Sorgen, die wir auf Zetteln in sie hineinlegen. Die sind eben schwer zu verdauen, wie ihr euch vielleicht denken könnt.

Was ihr vielleicht auch wisst: Der Hund war einmal ein Wolf. Einige Wölfe kamen uns Menschen vor tausenden von Jahren so nah und wir hatten so gutes Futter im Angebot, dass sie bei uns blieben. Und da wir vor allem gehorsame und freundliche Wölfe ausgewählt haben, sind unsere Hunde heute nur noch selten wild und bissig. So ähnlich war es auch mit den Sorgenfresserchen. Während wir Menschen uns an unseren Lagerfeuern früher gegenseitig Geschichten (und dabei immer auch unsere Sorgen) erzählt haben, saßen immer ein paar Sorgenfresserchen in der Nähe und hörten zu. Sie haben die ausgesprochenen Sorgen dabei durch den Mund eingeatmet und in sich aufgenommen. Irgendwann haben wir Menschen dann das Schreiben gelernt. Und die Sorgenfresserchen begannen, unsere liegen gelassenen Zettel mit den Sorgen, Nöten, Ängsten und Beschwerden aufzusammeln und zu fressen.

Wisst ihr, was eine „Beschwerde“ ist? Wie wird man die los?

Anfangs war das sicher nicht so lecker. Aber mit jedem weiteren Zettel wurde es offenbar appetitlicher. Es gibt eine Redewendung, die besagt: „Der Hunger kommt beim Essen“. Ich finde ja, dass wir gut auf unseren Bauch hören sollten: Haben wir Hunger oder haben wir keinen. Und wenn wir etwas nicht essen wollen, ist das okay. Aber für die Sorgenfresserchen stimmt das offenbar – sie fraßen erst die Sorgen aus der Luft und dann die auf den Zetteln. Und irgendwann schmeckten die ihnen dann auch. Zumindest wurden sie satt.

Was wird aus den gefressenen Sorgen?

Alle Menschen (die großen wie die kleinen, die jungen wie die älteren) haben hin und wieder Sorgen und manchmal sogar ein bisschen Angst: vor echten Spinnen an der Zimmerdecke, vor gruseligen Geistern oder Monstern unter dem Bett oder im Kleiderschrank. Oder ein Kind macht sich Sorgen wegen etwas, das andere Kinder oder Erwachsene zum ihm gesagt haben. Darüber zu sprechen, ist immer ein guter Weg, mit Sorgen umzugehen.

Zu wem geht ihr als erstes, wenn euch etwas stört oder Sorgen habt?

Wenn gerade niemand da ist oder ihr erst einmal Zeit für euch braucht, könnt ihr einfach ein Sorgenfresserchen an euch drücken und es mit euren Sorgen und Beschwerden „füttern“. Das geht ganz leicht: einfach mit ihm reden. Oder ihr malt oder schreibt etwas über eure Sorgen auf ein Zettelchen. Dann knüllt oder faltet ihr das Zettelchen zusammen und steckt es dem Sorgenfresserchen ins Maul. Dadurch wird es pappsatt und der Bauch wird rund.

Was glaubt ihr: wie wird der Bauch anschließend wieder leer?

Was ihr dem Sorgenfresserchen anvertraut oder zu fressen gebt, behält es für sich. Aber vielleicht wollt ihr ja, dass euch jemand mit euren Sorgen hilft. Denn so gut es ist, wenn einem zugehört wird (und das kann das Sorgenfresserchen richtig gut) – manchmal braucht man auch Hilfe oder jemanden, der wirklich etwas verändern kann. Das Sorgenfresserchen bestärkt euch darin, dass ihr zu so jemandem geht: jemandem, von dem oder von der ihr wisst, dass euch dort geholfen wird: Mama, Papa, euren Großeltern, einem guten Freund oder einer guten Freundin oder eben eine Erzieherin oder ein Erzieher. Gemeinsam mit diesem Menschen könnt ihr dann zu dem Sorgenfresserchen gehen, dessen Bauch ausleeren und darüber sprechen, was darin gelandet ist. Ihr werdet sehen: dann fühlt ihr euch leichter, denn die Sorgen werden weniger, wenn man darüber gesprochen hat und Hilfe bekommt.

Weitere Informationen und Literatur

Diese Geschichte ist eine umfassende Abwandlung und pädagogische Ergänzung des Originaltextes von Tamara Galler, wie er 2013 in diesem Forum erschienen ist:

e-stories.de/view-kurzgeschichten.phtml?37159 [zuletzt aufgerufen am 05.11.2024]

Ergänzt wurden u.a. Erzählaspekte, die sich mit Sorgen und Ängsten und mit dem Hunger der Sorgenfresserchen auf Sorgen befassen.

Das Zusammen wirkt.

error: Content is protected !!